Die EduCouch. Der Podcast zu digitalen Bildungsthemen
I: Wir sind heute im Kanzleramt bei Frau Staatsministerin Bär. Jeder weiß, dass Sie für Digitalisierung in dieser Gesellschaft zuständig ist und genau darüber werden wir auch reden. Natürlich auch ein bisschen über Bildung und Digitalisierung. Schönen guten Tag, Frau Baer.
B: Hallo, grüße Sie und herzlich willkommen.
I: Vielen Dank. Ja, steigen wir gleich ein. Wir haben ja jetzt den Digitalpakt. Ganz viele Leute im Land überlegen jetzt, was sie mit dem Geld machen können, wo wir das am besten verwenden können. Was wäre denn Ihre Empfehlung dazu? Wo können wir das Geld oder sollten wir das Geld am sinnvollsten einsetzen?
B: Naja. Wir haben den Digitalpakt und ich freue mich, dass der Bund da seine Hausaufgaben gemacht hat. Trotzdem gebe ich zu, dass ich noch nicht sehr glücklich bin, weil ich kein einheitliches, bundesweites Konzept sehe. Jetzt kann man sagen, ja, der Bund ist auch nicht zuständig, sondern die Länder sind zuständig. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir eigentlich auch noch in keinem Bundesland einen richtigen Plan haben. Ich bin jetzt mal ganz böse, weil ich jeden Tag mit Lehrern zusammen bin. Ich hatte heute schon direkt vor unserem Gespräch jetzt wieder eine Realschule, bei der ich eine Sonderrolle habe, weil ich da schon seit über zehn Jahren Schirmherrin bin. Das ist eine Mädchen-Realschule. Da darf kein Mädchen, die mittlere Reife hat, mit der zehnten Klasse die Schule verlassen, wenn sie nicht programmieren kann. Und das seit Jahren. Weil die eine sehr engagierte Rektorin haben. Die haben einen super engagierten Fachlehrer für Deutsch und Geschichte, der sich damit aber total auseinandersetzt. Und jetzt war aber heute bei einer Besuchergruppe, direkt vor dem Termin, eine-, war eigentlich eine bayerische Besuchergruppe, da war aber eine Kölner Lehrerin dabei, die hat gesagt, ihr Rektor schafft es gar nicht, das Geld abzurufen. Also ich glaube, wir müssen nochmal einen Schritt zurück gehen, bevor wir jetzt sagen, das und das macht mal, bräuchten wir meines Erachtens ein Konzept. Natürlich muss man es individuell sehen. Die einen Schulen haben schon Tablet-Klassen, die einen Schulen haben Glasfaseranschluss, W-Lan, haben Smartboards, andere haben es nicht. Einige wollen keine Smartboards. Die sagen, uns reicht der Beamer völlig aus. Und dann muss man ja auch Unterschiede machen, sage ich mal, von der Grundschule, Realschule, Mittelschule, Gymnasium bis hin zu den Berufsschulen hat auch jeder andere Bedürfnisse. Aber mir würde es schon einmal reichen, wenn wir überall mehr über das wie, nach dem Sie jetzt fragen, diskutieren und nicht in diesem Ob-Stadium noch so hängen bleiben.
I: Weil Sie eben gesagt haben, so Smartboards und Tablets. Man hat ja so den Eindruck, es wird sehr viel über Technikanschaffungen gesprochen. Nun wissen wir ja auch, wir haben damit nicht immer ganz gute Erfahrungen gemacht. Also mitunter wurde eben Technik gekauft für die Klassen, die dann dort installiert wurde und am Ende nicht genutzt wurde. Das heißt wir wissen ja, das muss eigentlich ein Dreiklang sein zwischen Technik, Ausstattung und Weiterbildung der Lehrer und guten Inhalten. Haben Sie das Gefühl, dass wir da diese Harmonie zwischen diesen drei Punkten schon erreicht haben? Oder was müssten wir tun an der Stelle?
B: Also ich glaube doch noch nicht mal, dass es nur dieser Dreiklang. Wir brauchen auch neben-. Weil das, was Sie beschrieben haben, Inhalte, und das, was Sie beschrieben haben ist ja auch mehr technisch. Aber auch eine gewisse, ja, Lust, Liebe, Leidenschaft, sich auch bestimmten Themen digital zu nähern, das kommt auch noch dazu. Plus, wir brauchen auch noch die Eltern. Da sehe ich auch noch so einen ganz, ganz großen Schwerpunkt in der Eltern-Erziehung, dass die das auch gestatten, dass sich ihre Kinder auch damit auseinandersetzen. Ich versuche jetzt-, ich habe ja einen Innovation Council ins Leben gerufen. Und da war es auch ganz spannend, dass neben den ersten Sitzungen, wo es auch ganz viel um allgemeine digitale Themen ging, wir mal dann bei einer Sitzung letztes Jahr eine Abfrage gemacht haben unter allen Teilnehmern. Das sind Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen, die für unterschiedliche Sparten der Digitalisierung stehen. Und trotzdem hat alle geeint, als wir gesagt haben, was ist unser erstes Schwerpunktthema letztes Jahr: Bildung, Bildung, Bildung. Wollte keiner etwas anderes machen. Dann nochmal, nur ins Protokoll schreiben lassen, damit es auch jedem klar ist, dass wir als Bund theoretisch nicht zuständig sind. Wobei mich das noch nie gestört hat, weil ich glaube, dass das nicht geht, einfach zu sagen, oh, da bin ich nicht zuständig, müssen sich andere drum kümmern, wenn man das Gefühl hat, es läuft nicht. Wir haben dann jetzt so eine Arbeitsgruppe, Digitales Klassenzimmer, ins Leben gerufen, wo wir uns alle vier Wochen auch treffen. Und jetzt kommen so die ersten Widerstände. Wir haben uns nämlich vorgenommen, wir wollen mal so Blaupausen errichten. Gerade für den Digitalpakt, den Sie angesprochen haben. Das heißt, wir sind gerade dabei, mal, haben uns schon herausgesucht, eine Grundschule, ein Gymnasium, eine Gesamtschule und eine Berufsschule. Und das in drei Bundesländern. Einmal im Süden, einmal im Westen, einmal im Osten. Und jetzt kommen die ersten Widerstände, dass zum Beispiel Ministerpräsidenten dabei sind, die das super finden. Und dann ist das nächste Gespräch auf der ministerialen Ebene und dann stockt das und dann wird auch von den Ministerialbeamten dem MP widergespiegelt, nein, eigentlich geht das nicht, wollen wir nicht, brauchen wir nicht. So. Und wir-, ich habe gesagt, machen wir trotzdem, es ist völlig egal. Aber wir wollen genau die Punkte, die Sie ansprechen. Hardware, Software, Lehrerbildung, halt Breitband, W-Lan, Inhalte, mit den Schulbuchverlagen zusammenarbeiten. Wir wollen denen wirklich einmal alles so übergeben und sagen, es ist alles da. Und auch jemanden, der es noch nachhält. Ich brauche danach auch zum Beispiel einen Fachinformatiker für Systemintegration, wenn so ein Teil drei Mal nicht funktioniert, wenn die Dokumentenkamera drei Mal ausgefallen ist, wenn das Smartboard nicht funktioniert, dann nutzt es der Lehrer nicht mehr. Dann kommt halt doch wieder die grüne Tafel und die Kreide, weil die Frustration dann so groß ist, wenn die Technik eben nicht funktioniert. Deswegen, ja, richtig, Technik ist nicht alles, aber es braucht eben auch neben den Inhalten auch eine ganz große Begeisterung, auch noch, um zu erkennen. Deswegen habe ich gerade gesagt, dass der Lehrer Deutsch- und Geschichtslehrer ist. Weil die Leute denken ja, oh Gott, wir brauchen einen Computerraum und wir müssen dann Informatik machen. Ich habe letzten Freitag bei einer fünften Klasse gesehen, wie die mit tollen Programmen so ein-, sich selber programmiert haben, so eine Lateinvokabel-Abfrage. Also es geht in jedem einzelnen Fach. Und ich fand diese digitalen Bausteine für Latein, fand ich gerade so spektakulär. Wir haben dann auch noch als Hintergrund halt so das Kolosseum gehabt und ich habe nur auf einem Bild-, habe ich gesagt, also ich finde, das sieht aus wie die Akropolis, weiß ich jetzt nicht, ob das zu Latein passt, aber egal. Dass die dann auch quasi nochmal lernen, wo es so richtig zu verorten ist, welche Bildprogramme sie dann auch tatsächlich nutzen können. Aber mit einer ganz großen Freude, Leidenschaft, Begeisterung waren die einfach dabei. Auch Mathe. Die haben dann Mathe so erklärt, wie man es eigentlich nur kennt, so von manchen amerikanischen Erklärvideos. Die sind ja da viel besser, viel weiter. Als ich vor, pfff, 25 Jahren ist in den USA war-. Ich weiß nicht, ob Sie Schoolhouse Rock kennen, da gab es schon vor 25 Jahren, ob das über die Verfassung der Vereinigten Staaten oder über jede einzelne Zahl von der Null bis zur Zehn, genau erklärt, wie Mathematik funktioniert. Die waren schon da wesentlich weiter. Aber da haben die Schüler das selber gemacht. Und da ist es auch wichtig, jedem Lehrer mit an die Hand zu geben, es funktioniert in jedem Fach. Selbst im Sportunterricht kann ich es einsetzen.
I: Da möchte ich nachfragen. Es ist ja so, dass wir manchmal so den Eindruck haben bei dieser Frage Digitalisierung von Bildung als sei das so eine Art Aufgabe, die jetzt noch so oben draufkommt. Also die Schulen haben sehr viele Aufgaben zu erledigen, auch sehr viele neue Paradigmen umzusetzen. Das fängt bei Kompetenzorientierung an, geht über die Bewältigung der Migration, Inklusion und so weiter. Und oftmals, wenn man dann mit Kollegen in den Schulen redet, hat man so den Eindruck, so jetzt kommen sie auch noch mit Digitalisierung, also ob wir nicht genug zu tun hätten. Müssen wir nicht auch die Denke ändern sozusagen, was unsere Betrachtung der Schule und ihre Aufgabe an sich angeht? Ist es nicht eigentlich so, dass sich das grundlegend ändern wird? Also, dass wir auch darüber reden werden, irgendwann, ob wir diese gebauten Schulgebäude vor Ort in den üblichen Organisationsformen, Zeitregeln und so weiter so noch weiterbetreiben? Ist es nicht so, dass dieser Wandel eigentlich viel fundamentaler ist?
B: Ja, das hat alles ganz viel mit Disruption zu tun. Mir hat gerade die Lehrerin erzählt, dass sie gar nicht so Probleme hatte jetzt im bayerischen Kultusministerium, dass sie online Tests schreiben darf. Aber sie hatte ganz große Probleme, so pädagogisch didaktisch rüberzubringen, dass sie meint, es geht nicht, dass die Schüler jede Woche zwei bis drei Leistungsnachweise erbringen müssen. Sie hätte gerne auch mal für Projekte so eine leistungsnachweiserbringungsfreie Zone. Wird aber nicht gewünscht (?so). Also ja, hat ganz viel damit zu tun. Und ich gehöre jetzt wirklich zu den Letzten, weil ich schon gar nicht so erzogen wurde. Ich komme aus einer totalen Lehrerfamilie. Und da wird man nicht so erzogen, dass alles in die Schulen rein soll. Weil, wie Sie richtig sagen, da ist genug drin. Und es ist ja auch oft bequem, es aus den Elternhäusern auszulagern. So mein Lieblingsspruch in der Karriere meiner Mutter war, als meine Mutter zu ihr kam, in die Sprechstunde, und meine Mutter angemahnt hat, wo es halt überall fehlt an Manieren, an Sitten und Bitte, Danke, und so weiter. Und dann hat die Mutter zu meiner Mutter, die damals noch eine sehr junge Lehrerin war, und die Mutter war bestimmt doppelt so alt, hat sie dann gesagt: Was wollen Sie eigentlich? Ich habe das Kind schon auf die Welt gebracht, erziehen müssen Sie es. Und das war so-, also in dem Spirit sind wir zu Hause erzogen worden, dass schon die Erziehung im Elternhaus stattzufinden hat. Und eben nicht, wenn meine Mutter in der siebten Klasse Hauptschule ein zwölf- oder dreizehnjähriges verzogenes Kind kriegt, dass dann mit Erziehung nicht mehr so wahnsinnig viel möglich ist. Das vorausgeschickt bin ich aber fest davon überzeugt und kämpfe deshalb so für Digitalisierung an den Schulen-, habe es vor zehn Jahren auch noch anders genannt. Da hat man auch eher von Medienkunde oder so gesprochen. Aber egal. Immer in dem Wissen, dass die Eltern es nie schaffen können, weil die Kinder weiter sind, weil einfach die Grundfähigkeiten zu Hause fehlen. Ich bin auch-, ich scheue auch nicht, und das ist für eine CSU-Politikerin nicht einfach, ich scheue nicht davor zurück, auch auf LandFrauenTagen den LandFrauen zu widersprechen den Forderungen, das Kochen und Ernährung wieder Bestandteil des Unterrichts sein muss. Da sage ich, also ein bisschen was muss man daheim schon auch noch können. Und ich habe die Woche Grundschüler hier, im Kanzleramt, gehabt, die mir auch ihre Forderungen für das Digitale im Internet so überreicht haben, was ihnen so wichtig ist an digitalen Grundrechten. Und dann haben die gesagt: „Ja, Sie müssen jetzt ein Gesetz erlassen, wenn wir da jetzt alleine uns auf YouTube bewegen.“. Das waren so Zehnjährige. „Dann sehen wir so viel Gewalt.“. Dann habe ich gesagt: „Ja sagt mal, haben Eure Eltern es noch alle? Wieso lassen die Euch alleine hier auf YouTube Euch alles raussuchen? Das ist auch die Aufgabe von Euren Eltern, Euch davor zu schützen. Und da gibt es auch viele Programme, die können auch auf dem heimischen PC aufgespielt werden. Genau wie der Fernseher programmiert werden kann, dass es bei bestimmten Sendungen einen Jugendschutz geben muss.“. Also, ich will da auf keinen Fall das Elternhaus aus der Verantwortung lassen. Aber in dem Fall ist es wichtig, dass da Schule ein ganz, ganz großen Bestandteil im Leben einnimmt, weil das die Eltern, auch selbst die engagierten, die es wollen, würden nicht leisten können alleine.
I: Dann schauen wir mal auf die Grundlagen. Gerade wird ja auch der 5G-Ausbau diskutiert. Was tun Sie denn auf Bundesebene, um die bekannten Schwierigkeiten dabei zu beheben? Also Stichwort Milchkanne und 5G.
B: Also da habe ich einen großen Shitstorm von den Landwirten bekommen, die es nicht in Ordnung finden, dass die Mehrheit gar nicht weiß, dass sie mit den modernsten Melkrobotern arbeiten, dass es gar keine Milchkannen mehr gibt. Also alleine deswegen war der Vergleich glaube ich schon nicht so ganz glücklich gewählt. Ich würde eher sagen, dass man 5G in jeder Ackerfurche braucht. Aber das hat sich, denke ich, jetzt auch so durchgesetzt, dass die Leute das schon verstanden haben. Was wir nicht geschafft haben, rüberzubringen insgesamt in der Bevölkerung-, weil ich hatte auch vorhin eine Besuchergruppe, wo ein Besucher gesagt hat: „Ja, wann kriege ich jetzt endlich mein 5G zu Hause?“. Und ich ihm auch mal erklärt habe, wofür das jetzt eigentlich erstmal da ist und dass er damit seine Funklochproblematik auch nicht lösen wird. Haben wir lang darüber diskutiert, dass wir die Diskussion auch nicht gehabt hätten, wenn wir jetzt schon flächendeckend LTE hätten beispielsweise. Also da ist auch viel durcheinandergeworfen worden. Jetzt schauen wir mal, wie die Versteigerung dann ausgeht. Wichtig ist, dass wir es jetzt auch mal in die industriellen Anwendungen bekommen, dass wir den ganzen Bereich IOT, Internet Of Things, Vernetzung, dass das stattfindet. Wir haben ja auch ein (?Prospekt) freigehalten für die Industrie, nicht nur für die Unternehmen, die jetzt bieten. Und dann gibt es vom Rollout her, auch ganz klar, dass wir bei den Bundesautobahnen anfangen, dann bei den Verkehrswegen an der Schiene beispielsweise. Und, dass es dann über die Bundesstraßen dann auch in die Fläche einfach kommt. Aber für bestimmte Anwendungsbereiche, so wie sich das so, wie es so schön heißt, Otto Normalverbraucher vorstellt, ist es im Moment tatsächlich von den Anwendungen gar nicht notwendig.
I: Jetzt komme ich natürlich an dem Stichwort Urheberrechtsrichtlinien nicht vorbei. Wir haben da ja eine erregte Debatte gehabt. Wir wissen auch, Sie haben das ja auch selber gesagt, das ist problematisch. Und jetzt ist ja die entscheidende Stelle, wir müssen das jetzt in deutsches Recht übersetzen. Was tun Sie jetzt, um die Folgen zu mindern, sozusagen?
B: Ja, das klare Versprechen war, jetzt wenn man mal beim Thema Uploadfilter ist, dass es keine Uploadfilter geben wird. Und da ist es, wie es ganz normal läuft, das muss jetzt dann eben einfach mal einen Referentenentwurf geben, der geht dann in die Ressortabstimmung und dann muss man schauen, ob das Ganze auch praktikabel ist. Ich bin bei diesen ganzen Punkten sehr skeptisch, weil da geht es jetzt weniger um Leidenschaft, ja oder nein. Da geht es für mich auch ganz viel um was technisch eigentlich machbar ist. Oder wir hatten ja vor Jahren, kann man sich ja heute gar nicht mehr vorstellen, aber vor Jahren ja auch mal die Diskussion, wo dann Kollegen von mir, ist auch schon über zehn Jahre her, eingeworfen worden, es muss halt nur jemand den digitalen Radiergummi erfinden. Ich weiß nicht, ob Sie sich an die Diskussion noch erinnern? Und gar nicht, damals attestiert wurde, dass es sowas wie einen Screenshot gibt oder ähnliches, ja. Oder, wir erleben es jetzt auch: Wie gehen wir technisch damit um, wenn Gewaltvideos gelöscht werden müssen, sofort aus dem Netz genommen werden? Wie kann man überhaupt eine Vervielfältigung eindämmen? Also, deswegen muss man das immer in einem ganz gesunden Spannungsverhältnis-. Ich kann auch ein Gesetz erlassen und sagen, es hat ab sofort in Deutschland jeden Tag die Sonne zu scheinen. Das kann ich alles machen. Ich finde vielleicht sogar eine Mehrheit. Aber es wird halt nicht funktionieren. Und deswegen bin ich jetzt mal gespannt, was da für ein Entwurf kommt. Ich persönlich glaube, man hätte es sich einfacher machen können als jetzt so einen komplizierten Weg zu gehen. Weil eine Gesetzgebung auf europäischer Ebene oder Verordnungen auf europäischer Ebene ja gerade den Sinn haben, dass es in allen Mitgliedstaaten gleich ist. Das widerspricht ein bisschen so ein bisschen dem ursprünglichen Ansinnen. Aber ich bin da auch nicht dogmatisch. Ich lasse mich da überraschen, was kommt.
I: Also wir leben in Zeiten des digitalen Wandels. Darüber sind wir uns alle einig. Nun sind diese Zeiten immer geprägt von, ja, so Gruppenbildung. Da gibt es immer auf der einen Seite, die ihre alten Besitzstände verteidigen. Und Sie haben ja auch ausführlich darüber ja auch schon gesprochen und so Beispiele genannt. Und es gibt immer die, die irgendwie nach vorn gehen wollen. Wie würden Sie denn die Situation im Land insgesamt einschätzen, überwiegen die Fortschrittsdenker, die nach vorn Drängenden oder haben die Besitzstandswahrer immer noch die meiste Macht? Wie ist das?
B: Ich finde schon, dass die Mehrheit in unserem Land eher zu den Besitzstandswahrern gehört und-, auch gar nicht böse gemeint. Jeder versucht natürlich auch erstmal das zu verteidigen, was er hat. Warum? Weil wenn man sich die Analyse, oder meine persönliche Analyse anschaut, würde ich sagen, wir haben auch viel zu verlieren. Also es gibt eben Länder, für die ist es ein Aufstiegsversprechen, die müssen was ändern, um voranzukommen, die können sich ein Weiterso nicht leisten, weil das, was da ist, schlecht ist. Und so möchte man nicht weiterarbeiten. Und so das, was wir aus anderen Generationen kennen, so aus meiner Großelterngeneration, bei meinen Eltern noch ein bisschen. Aber bei uns ist das ja überhaupt nicht mehr da. Ich weiß nicht, ob Sie Kinder haben? Aber, sagen Sie zu Ihren Kindern, also ich kenne zumindest in meiner Generation niemanden, der jeden Tag zu den Kindern sagt, ich will, dass es euch einmal später besser geht. Das sagt man nicht mehr. Sondern heutzutage ist es eher so eine Erbengeneration, wo man sagt, hoffentlich geht es euch einmal nicht schlechter. Hoffentlich könnt ihr das, was noch da ist, auch noch bewahren und behalten. Nur, ganz ehrlich, bewahren ist halt immer Rückschritt. Und nie Fortschritt. Und deswegen ist es keine böse Analyse, sondern halt einfach eine, wo ich die Hoffnung habe, dass wir nicht wieder eine große Krise brauchen, um dann die Krise als Chance zu nehmen, wie es 2008, 2009 auch bei der Bankenkrise war. Das war eine ganz schreckliche Zeit, auch so in meiner politischen Laufbahn, würde ich sagen, auch als Abgeordnete eines Wahlkreises mit die schwierigste Zeit. Wenn dann Kurzarbeit ist, wenn Unternehmen geschlossen werden. Das war ganz furchtbar. Wenn die Arbeitslosigkeit wieder steigt. Und ich hoffe, dass es ohne Krise geht. Es gibt viele Professoren, Analysten, aber auch Kollegen, sehr seriöse Kolleginnen und Kollegen von mir, die sagen, es wird nur mit der Krise (?geben). Ich finde, man muss als Politiker auch immer irgendwo den psychologischen Ausgleich finden, um da jetzt nicht nur mit Angst Politik zu machen. Da möchte ich auf keinen Fall dazugehören. Aber einfach schon klar zu machen, dass natürlich auch mal ein Schritt aus der Komfortzone raus notwendig ist. Und dieses Hinterfragen von „Haben wir aber schon immer so gemacht“ auch eins ist, und ich scheue mich da selber auch nicht. Ich habe gestern, als ich in der Fraktion über die Digitalisierung gesprochen habe, gesagt, wir müssen auch mal bei uns selber anfangen. Und auch, weil sie auch gefragt haben, hier findet ja auch im Kanzleramt Koordinierung statt und Querschnitt und es muss viel mehr horizontal gearbeitet werden, muss man eben auch einstudierte Riten, wie Ressortprinzipien, in Frage stellen. Und das ist jetzt auch nicht so, dass sie dann mit Blumen und La-Ola-Wellen überhäuft werden.
I: Also ich habe vier Kinder. Deswegen beschäftigt mich diese Frage tatsächlich auch ganz persönlich. Weil ich würde Ihnen ja vollkommen zustimmen. Es ist ja so, wir haben ein Wohlstandsniveau erreicht, wo die unmittelbaren Zwänge, Dinge nach vorne entwickeln zu MÜSSEN, häufig ja nicht mehr da sind. Also, und Sie haben jetzt eben auch so Probleme und so Besitzstandswahrung so beschrieben. Was ist denn da das Positive? Oder was könnte das positive Moment sein, um Leute nach vorn zu streicheln, sozusagen? Also zu sagen, guck dir mal die Chancen an und da kann man echt auch viel Gewinne machen. Oder irgendwie so ein Motiv nach vorn.
B: Ja wichtig ist immer, dass man die Technik auch erlebbar macht. Also, dass man erstens Mal sagt, es ist nicht nur Technik, es ist nicht nur eine technische Revolution, es ist eine komplett soziale Revolution auch, diese digitale Revolution. Aber jeder, der auch tatsächlich mal es positiv erlebt hat, der mal in einem selbstfahrenden Auto saß, hat da keine Angst mehr davor. Der wird es im Zweifel langweilig finden, weil die fahren halt nicht so schnell. Die halten sich halt an die Geschwindigkeitsbegrenzung. So. Und die gehen nicht sportlich irgendwo quer rein, sondern machen kein unbedachtes Wechseln von Spuren. Und am meisten beeindruckend, ich meine, Mobilität ist wichtig, Bildung ist wichtig, aber am aller, allermeisten ist natürlich immer Medizin beeindruckend, Gesundheit beeindruckend, weil da die Menschen am offensten dafür sind für den ganzen Bereich. Und da sind die schönsten Begegnungen, so dramatisch es sich anhört, eigentlich mit chronisch Kranken, weil die da so viele Vorteile draus ziehen. Oder im Bereich der Diagnostik, oder dann eben auch in der Therapie. Was möglich ist, da müssen es gar keine-, es ist immer eine Lebenseinschränkung, aber es müssen jetzt keine Dinge sein, die einen tödlichen Verlauf haben. Ich habe ganz viel zu tun mit Kindern, die zuckerkrank sind. Und wenn man da sieht, wie sich das Leben nicht nur der Patienten, nämlich der Kinder verändert, sondern auch der Eltern. Wenn man dann mit Müttern spricht, die sagen, ich habe nicht mehr jede Nacht Angst, dass mein Kind stirbt, weil ich halt einfach langsam dahinkomme, dass der Blutzuckerspiegel in Echtzeit gemessen wird, und ich nachts auch mal durchschlafen kann. Oder ich auch mal, was man sich ja gar nicht vorstellen kann, mein Kind mal über Nacht auch mal bei der Oma lassen kann, was ja nur Eltern mit Kindern, die da nicht davon betroffen sind, ja durchaus leichter machen. Oder mal erlauben, dass das Kind bei einer Freundin übernachtet. Dann merkt man da, dass durch diese Technik, die sie jeden Tag erleben, die sich von Jahr zu Jahr verbessert, da ganz viel Begeisterung da ist. Und deswegen ist mein einziges, was ich wirklich immer merke, dass es was bringt, wenn man die Digitalisierung von dieser hohen Ebene runterholt. Wir, ich auch, aber viele andere auch, reden auch zu abstrakt drüber. Und nicht zu-, eigentlich bräuchte man so ein eins zu eins, wo man jedem sagt-, weil den einen interessiert Mobilität, den anderen aber vielleicht gar nicht. Der eine arbeitet im Homeoffice. Der eine interessiert sich jetzt gerade für Bildung. Ich dachte, als ich Abi gemacht habe und mein Studium beendet hatte, jetzt habe ich ein für alle Mal damit nichts mehr zu tun. Da ging es noch gar nicht um lebenslanges Lernen. Aber sobald man ein Kind auf die Welt bringt, muss man sich mit diesem ganzen Bildungssystem wieder auseinandersetzen. Also es hört nie auf. Und dann interessiert jetzt mich natürlich Bildung nochmal ganz anders. Und wenn meine Kinder hoffentlich auch irgendwann einmal fertig sind, wird es mich hoffentlich erst wieder erreichen, wenn dann mal Enkelkinder da sind. Aber das sind alles Themen, wo jeder in unterschiedlichen Lebensphasen andere Vorteile hat. Und deswegen braucht man da mehr Usecases und da bin ich mir total sicher, dass man bei jedem eine Begeisterung und bei jedem eine Leidenschaft auch wecken kann. Wenn wir sie wecken dürfen.
I: Digitalisierung konkret und eins zu eins erleben. Ich glaube, das war ein wunderschönes Schlusswort. Frau Baer, vielen Dank für dieses Gespräch.
B: Ich danke Ihnen. Schön, dass Sie heute da waren.
I: Ja. Vielen Dank.